Post als Zeuge oder Beschuldigter bekommen?

Haben Sie Post als Zeuge oder Beschuldigter bekommen? Eine Ladung zur Vernehmung oder eine schriftliche Anhörung?

In beiden Fällen gilt: Rufen Sie nicht bei der Polizei an, sondern überlegen Sie und fragen einen Anwalt.

„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“

Franz Kafka, Der Prozeß

Hinweis: Alle im Text erwähnten Gesetzesnormen sind verlinkt, zusätzlich finden Sie sie aber auch am Ende des Textes.

So schnell kann es gehen – und das nicht nur im Roman.

Ladung und Anhörung in der Theorie: Entweder Zeuge oder Beschuldigter

Das Gesetz, das regelt wie ein Strafverfahren geführt werden darf, die Strafprozessordnung (StPO), ist in der Theorie eindeutig: Man ist entweder Beschuldigter oder Zeuge (oder völlig unbeteiligt) und muss dann auch als solcher geladen werden.

Post als Zeuge oder Beschuldigter in der Praxis: Verheimlichung der Beschuldigtenrolle

In der Praxis bleibt es dagegen manchmal zunächst unklar, wer gerade Zeuge oder Beschuldigter ist. Aber: Warum kommt es überhaupt darauf an, ob Sie Beschuldigter sind? Nun, als Beschuldigter haben Sie – im Gegensatz etwa zu Zeugen – besondere Rechte. Die Wichtigsten, § 136 StPO:

  • Sie sind als Beschuldigter nicht verpflichtet, aktiv mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Anders als der Zeuge müssen Sie insbesondere keine Aussage machen, sondern dürfen schweigen.
  • Sie dürfen jederzeit, auch (und vor allem) vor Ihrer Vernehmung, Rücksprache mit einem Anwalt halten. Als Zeuge haben Sie zwar das Recht auf einen Zeugenbeistand, § 68b StPO. Dessen Stellung ist aber weit schwächer als die des Verteidigers des Beschuldigten.

Die „Tricks“ der Polizei

Nicht immer kommen Sie per Post als Zeuge oder Beschuldigter mit der Polizei in Kontakt. Aber egal , ob bei einer Ladung oder bei einer Vernehmung oder vor Ort wird Ihnen die Polizei vor Ort nicht immer sofort mitteilen, ob Sie Beschuldigter sind: Entweder, weil sie es im Zeitpunkt Ihrer Befragung tatsächlich nicht kann oder weil sie es eben nicht will.

Warum die Polizei Ihnen eventuell nicht sagen will, ob Sie aus Sicht der Polizei eher Beschuldigter sind?

Nun, die meisten Leute zeigen sich eben doch redseliger, wenn Ihnen der Polizist an Stelle des Hinweises auf das Schweigerecht des Beschuldigten / (vermeintlich) Tatverdächtigen erklärt: „Im Moment ermitteln wir nicht gegen Sie, sondern wollen Sie zunächst als Zeuge befragen. Vielleicht klärt sich dann ja schon alles auf. Als Zeuge sind Sie aber prinzipiell verpflichtet, eine Aussage zu machen, sonst machen Sie sich strafbar.“

Das zeigt meistens Wirkung und die Leute reden sich um Kopf und Kragen.

Gerichte decken die Tricksereien der Polizei

Wenn Sie nun denken: „Es gibt ja immer noch die Gerichte. Die werden der Polizei solche Tricksereien doch nicht durchgehen lassen!“ – dann sollten Sie sich das nochmal überlegen. Denn derartige Methoden werden seit Jahrzehnten von der Rechtsprechung im Strafrecht unter dem Schlagwort „informatorische Befragung“ gedeckt. Weil eben vor Ort nicht immer sofort gesagt werden kann, wer als Zeuge und wer als Beschuldigter in Betracht kommt, soll die Polizei erst einmal ohne jegliche Belehrungen Fragen stellen dürfen.

Wenn sich dann herausstellt, dass jemand Beschuldigter ist, muss eigentlich belehrt werden. In der Praxis fragt die Polizei offenbar erst einmal und „vergisst“ gerne die Belehrung. Wenn dann schon alles geklärt ist, wird dann – viel zu spät – belehrt. Da die jetzt als Beschuldigten geltenden aber derartige Feinheiten nicht kennen, wiederholen sie natürlich arglos, was sie ja sowieso dem Polizisten gerade gesagt haben – was soll Schweigen jetzt noch für einen Sinn haben? Das ist doch auffällig! Und schon haben Sie ein Problem.

Richtig wäre es daher, auch bei der „informatorischen Befragung“ eine Belehrung vorzuschalten. Aber das will man wohl irgendwie nicht.

Aber auch, wenn Sie als Beschuldigter geführt werden, wird man versuchen, Sie mit verschiedenen „Angeboten“ (z.B.: „machen Sie eine Aussage und dann können Sie wahrscheinlich nach Hause gehen“) zu einer Aussage zu bewegen. Lassen Sie es!

Im Zweifel: Schweigen!

Auch als Zeuge müssen Sie keine Angaben machen, die Sie belasten könnten, § 55 StPO. Dazu gehört zum Beispiel schon Angaben dazu, ob Sie überhaupt etwas mit anderen Personen zu tun haben, ob Sie am Tatort waren etc. Denn allein daraus könnte man schon nachteilige Schlüsse gegen Sie ziehen.

„Trick“ der  Polizei bei Vorladung: Beschuldigte als Zeugen laden

Wenn Sie Post als Zeuge oder Beschuldigter bekommen, ist für Sie schon etwas besser als die Situationen vor Ort. Denn sie sind hinsichtlich der Frage, ob Sie aktuell Beschuldigter oder Zeuge sind (ob also gegen Sie in Strafverfahren läuft), relativ sicher.

Aber eben nur relativ! Zumindest dann, wenn Sie ausdrücklich als Beschuldigter geladen sind, gilt: Äußern Sie sich nicht schriftlich, gehen Sie nicht zur Polizei, rufen Sie nicht dort an, suchen Sie stattdessen einen Anwalt auf, der im Strafrecht tätig ist, einen Strafverteidiger.

Nicht so sicher ist dagegen die Vorladung als Zeuge. Sie wären nicht der erste Zeuge, der innerhalb der Vernehmung – oder unmittelbar danach – von der Polizei „überraschend“ als Beschuldigter eingestuft wird. Auch dieser Trick dient dazu, Sie ohne Hinweis auf Ihr Schweigerecht zum Reden zu bringen.

Zusammenfassung

Bei Straftatverdacht: Sprechen Sie nicht mit der Polizei, äußern Sie sich auch nicht schriftlich, ohne vorher mit einem Strafverteidiger gesprochen zu haben!

Sind Sie aktuell von einem Strafverfahren betroffen?

Melden Sie sich gerne bei mir:

§ 136 STPO – ERSTE VERNEHMUNG

(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen.Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn1.

dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder2.

die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.

§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

§ 55 AUSKUNFTSVERWEIGERUNGSRECHT

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.