Corona-Kontaktsperre-Blog Teil I: Ihre Rechte im Bußgeld- und Strafverfahren

Bitte dringend beachten: Die Lektüre der folgenden Ratschläge ersetzt keine Rechtsberatung! Jeder Fall ist anders. Die Verwendung der Ratschläge erfolgt auf eigene Verantwortung.

Jetzt kann es jeden erwischen – rechtzeitig informieren!

Waren das auch wirklich 1,50m Abstand beim Spaziergang (§ 14 Abs. 2 Berliner Corona-EindämmungsVO)?

War das Ausruhen in der Sonne beim Joggen noch eine Erholungspause oder haben Sie sich schon gesonnt (§ 14 Abs. 4 Berliner Corona-EindämmugsVO) ?

An solchen Fragen wird es sich nun entscheiden, ob man gar nichts zu befürchten hat, ein Bußgeld bezahlen muss oder mit einer Strafanzeige überzogen wird. Wohl aufgrund der durch Twitter vermittelten Kumpelhaftigkeit der Polizei wenden sich viele Bürger an die Polizei selbst (bzw. deren Social-Media-Team), um zu erfahren, was jetzt gilt.

Dabei gilt aber mal wieder: Wer glaubt, was die Polizei einem sagt, hat seinen Anwalt nicht gefragt!

Im Straf- und Bußgeldverfahren gibt es nur einen Freund und Helfer an der eigenen Seite: Den eigenen Anwalt!

Jeder Bürger Berlins bzw. der Bundesrepublik schwebt seit dem 02.04.2020 – so er sich nicht dauerhaft zu Hause verkriecht – in der nicht mehr nur theoretischen Gefahr, mindestens mit einem Bußgeldverfahren überzogen zu werden. Allerdings bestehen sogar Strafvorschriften gem. §§ 74, 75 IfSG (dazu soll hier dann noch ein gesonderter Blog-Eintrag folgen).

Damit ist die Zeit der freundlichen Ratschläge durch den Staat bzw. die Polizeibeamten jetzt vorbei: Jede Ansprache durch einen Polizeibeamten ist der potentielle Auftakt zu einem Bußgeld- oder sogar Strafverfahren gegen Sie!

Höchste Zeit also, sich über Ihre Rechte im Bußgeld- und Strafverfahren zu informieren!

Grundsatz: Auch in der Pandemie hat der Bürger Rechte gegenüber dem Staat

Wie in einem Schreckenstheater wird in den Medien zur Zeit vor allem über die „Corona-Strafen“ berichtet. So macht etwa SpiegelOnline mit dem Schocker auf:

Der Tagesspiegel lässt die Berliner wissen:

„Verstöße gegen Corona-Regeln werden teuer
‚Erholungsphasen‘ auf Berliner Parkbänken sind jetzt ausdrücklich erlaubt

Der Senat lobt das vorbildliche Verhalten der Berliner und sieht von schärferen Maßnahmen ab. Wer aber gegen geltende Regeln verstößt, muss kräftig zahlen.“

Ist das nicht schön? Der Senat lobt die Bürger wie gütige Eltern ihre braven Kinder. Echte Güte ist es aber nicht. Denn während die eine Hand den Kopf tätschelt („brav, brav“), wird gleichzeitig klar gemacht: Bist Du nicht brav, wird es teuer, sind zu viele von Euch nicht brav, dann gibt es Sippenhaft in Form der Verschärfung für alle.

Was in der eigenartigen medialen Konzentration auf die Buß- und Strafvorschriften leider untergeht: Auch in der Pandemie hat der Bürger Rechte gegenüber dem Staat.

Das sollte die Presse, die ja nicht Teil des Staates ist (auch wenn man bei einigen ihrer Teile derzeit den Eindruck hat, sie wären die Pressesprecher der Behörden), spätestens dann ihren Lesern mitteilen, wenn es ihnen an den Geldbeutel (Bußgeldverfahren) oder an den Kragen (Strafverfahren) gehen soll.

Polizei beklagt selbst fehlende „Handlungssicherheit“

Solange die Corona-Eindämmungsverordnung mehr oder weniger nur als eine Handlungsempfehlung gehandhabt wurde, konnte man darüber hinwegsehen. Jetzt, wo die an diese Verordnungen gekoppelten Bußgelder und Strafen durchgesetzt werden sollen, zeigt sich aber ein offensichtliches Problem:

Das weitreichende Kontaktverbot und die daran anknüpfenden Folgen sind hinsichtlich der konkreten Umsetzung an das „Fingerspitzengefühl“ der Beamten vor Ort gekoppelt. Das ist für sich gesehen zwar kein besonderer Grund zur Aufregung, denn das ist zum Beispiel auch bei der StVO und dem dazugehörigen Bußgeldkatalog so. Dennoch gibt es ein großes „ABER“: Die auf der StVO beruhenden Maßnahmen sind schon längst vielfach durch die Gerichte überprüft worden, so dass auch auf Seiten der Polizei hier eine relativ sichere Handhabe möglich ist (und trotzdem läuft da doch oft noch was schief). Das ist bei der Corona-Eindämmungsverordnung noch nicht der Fall! Daher besteht hier die besonders große Gefahr, dass vor Ort sehr unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden.

So berichtet etwa die Polizei selbst in einem Artikel im Tagesspiegel von sich anbahnenden Problemen (und absehbaren „Verteidigungsstrategien“ der Bürger):

I. Schweigerecht

Im Straf- und auch im Bußgeldverfahren als sog. „kleinem Strafverfahren“ gilt, dass Sie das Recht haben, zu schweigen. Allerdings ist dies im Ordnungswidrigkeiten(OWiG)-Verfahren noch ein bisschen schwieriger zu handhaben als sonst. Trotzdem gilt im Grundsatz der Rat: Spricht die Polizei sie an, sagen Sie erst einmal nichts! Nur Angaben gem. § 111 OWiG (Vor-, Familien- oder Geburtsnamen, Ort oder Tag der Geburt, Familienstand, Beruf, Wohnort, Wohnung, Staatsangehörigkeit) müssen Sie tätigen.

1. Mit welchen Fragen ist zu rechnen?

Was wird gefragt werden? Das hat freundlicherweise der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, in einem SpiegelOnline-Interview kurz erläutert:

„Die Strafen sind nicht drakonisch. Dieser Bußgeldkatalog unterstreicht die Dringlichkeit unserer Maßnahmen. Es wird stichprobenartig nachgefragt: Sind Sie auf dem Weg zum Arzt? Wollen Sie einkaufen? Warum halten Sie sich zu dritt oder zu viert auf der Straße auf? Es muss jedem bewusst werden, dass man wirklich nur mit gutem Grund rausgehen darf.“

Merke: Erst drakonische Strafen sind offenbar ein Problem für Müller.

2. Was soll man antworten?

Was im jeweiligen Einzelfall die goldene Antwort ist, kann ich natürlich auch nicht sagen.

Aber: Man kann als Laie das Gefahrenpotential derartiger Fragen kaum abschätzen. Nehmen wir die Fragen aus Michael Müllers Interview:

  • „Sind Sie auf dem Weg zum Arzt?“ – Wer „Ja“ sagt, benennt wohl einen Grund im Sinne des § 14 Abs. 3 b) Eindämmungs VO, der es erlaubt, die Wohnung zu verlassen. Andererseits kann man dann mit weiteren Fragen rechnen, etwa: „Aus welchem Grund?“ / „Zu welchem Arzt?“ Je nach Antwort räumt man damit ein, dass man tatsächlich krank ist, was wiederum weitere Fragen erweckt. Sagt man „Nein“, ist der potentielle Rechtfertigungsgrund für den Aufenthalt im Freien weg.

  • „Wollen Sie einkaufen?“ – Es gilt das Gleiche wie zur Arztfrage.

  • „Warum halten Sie sich zu dritt oder zu viert auf der Straße auf?“ Wer darauf überhaupt inhaltlich antwortet, räumt damit eventuell schon ein, dass er sich mit den anderen bewusst in einer zu großen Gruppe zusammen auf der Straße aufhält. Das ist allerdings ja gerade verboten (§ 14 Abs. 3 i) EindämmungsVO) Vielleicht kennt man sich aber gar nicht?

„Ich möchte dazu jetzt nichts sagen“ – that’s da sound for da police

Daher sollte man sich an eine Empfehlung halten, mit der man in Straf- und Bußgeldverfahren eigentlich nie etwas falsch macht. Die goldenen Worte lauten: „Ich möchte dazu jetzt nichts sagen.“

Hakt der Beamte dann nach, etwa: „Warum denn nicht, haben Sie etwas zu verbergen?“ (Klassiker) oder „Können Sie doch sagen, wir haben Sie doch eh schon erwischt!“ (Klassiker II), ist es wichtig, nichts „Originelles“ zu sagen, sonder auf das Programm Dauerschleife zu stellen. Bedeutet: Man antwortet auch darauf wieder nur: „Ich habe Ihnen gesagt, dass ich dazu nichts sagen möchte und dabei bleibe ich.“

Wichtig, auch wenn man von der ganzen Situation schon genervt ist: Keine Unhöflichkeiten und schon gar keine Beleidigungen, Drohungen oder Gewalt – sonst hat man schnell ein ganz reguläres Strafverfahren am Hals. Denn mit der Kontakteindämmung wird eine Form von Kontakten sicher zunehmen: Die zwischen Polizei und Bürger. Da wird der ein oder andere unbescholtene Bürger die Erfahrung machen müssen, dass einige Angehörige dieser Behörde extrem spaßbefreit sind (nein, nicht alle, würde ich aber nicht darauf ankommen lassen).

II. Problemlage OWiG: Schweigerecht und Verwarnung

Das Problem mit dem Schweigerecht ist, dass das OWiG-Verfahren bei geringeren Verstößen auch die Verwarnung (§ 56 OWiG) vorsieht. Die ist regelmäßig günstiger als das eigentliche Bußgeld.

Geringfügig sind Ordnungswidrigkeiten, die bis 55 € geahndet werden (§ 56 Absatz 2 OWiG). Auch wenn die meisten Bußgelder im Berliner Corona-Bußgeldkatalog darüber liegen, sind doch in Berlin die für die Bürger besonders interessanten Bereiche des § 14 Corona-EindämmungsVO (Ausgehsperre, Abstandhalten), in diesem Bereich angesiedelt.

Für die Leser aus anderen Bundesländern: In anderen Bundesländern stellt sich das Problem mit der Geringfügigkeit möglicherweise gar nicht, wenn dort die Mindestbußgelder nach Katalog bereits deutlich über der Geringfügigkeitsgrenze liegen, wobei aber zu beachten ist, dass es hierfür auch bei einem bestehenden Katalog auf den konkreten Einzelfall ankommt.

Nun das eigentliche Problem mit dem Schweigerecht: Ein Verwarngeld bekommt man in der bislang bekannten Verwaltungspraxis (etwa im Straßenverkehr) nur, wenn es einem der Beamte vor Ort „anbietet“. Das macht er allerdings nicht unbedingt, wenn man ihm sofort mitteilt, dass man gleich mal gar nichts sagen wird.

Andererseits: Sagt man sofort was, ohne ein „Angebot“ abzuwarten, kann man später kaum mehr etwas machen, wenn es dann doch keine Verwarnung, sondern einen Bußgeldbescheid oder eben sogar ein Strafverfahren gibt.

Die Verwarnung selbst ist nur in Ausnahmefällen noch anfechtbar.

III. Jetzt schon Gedanken machen: Eher Schweigen oder eher auf Verwarnung spekulieren?

Aber gerade deswegen kann sich gerade vor dem Hintergrund der für alle Beteiligten neuen Regelungen das Schweigen später richtig lohnen. Denn dann wird man bei der gerichtlichen Überprüfung der Corona-Bußgelder (dazu sogleich) später immerhin noch Möglichkeiten geben, die Geschehnisse korrekt zu schildern. Und manch ein Polizeibeamter mag vielleicht doch die Arbeit der genauen Dokumentation bei Ausübung des Schweigerechts scheuen und dann doch noch von sich aus eine Verwarnung anbieten. Es hilft aber alles nichts: Da Sie in der konkreten Kontrollsituation durch die Polizei mit anderen Dingen beschäftigt sein werden, sollten Sie sich am besten jetzt schon überlegen, wie Sie sich generell zu diesen Fragen stellen: Generell eher Schweigen oder auf ein Verwarngeld spekulieren?

IV. Bußgeldbescheid – Gerichtliche Überprüfung

Für das Bußgeldverfahren fallen zunächst weitere Kosten an, weshalb der Anreiz, ein Verwarngeld zu akzeptieren, natürlich besonders hoch ist.

Aus juristischer Sicht hat der Bußgeldbescheid einen entscheidenden Vorteil: Er muss eine gewisse Genauigkeit aufweisen und er kann – vor allem – in vollem Umfang überprüft werden, wenn man gegen ihn innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung (!) Einspruch (§ 67 OWiG) einlegt.

Und auf das gerichtliche Verfahren wird es hier ganz entscheidend ankommen. Denn es ist bereits jetzt absehbar, dass hinsichtlich der Corona-Eindämmungsveordnung einige juristische Fachfragen zu klären sein werden. Warum? Das soll Gegenstand eines kommenden Blogeintrages sein.

V. Strafverfahren: Sofort zum Anwalt

Das unter IV. Geschriebene gilt natürlich erst recht für den Fall eines Strafverfahrens: Hier sind noch viele Fragen offen. Deswegen sollte man so schnell wie möglich einen Anwalt aufsuchen, der sich mit Strafrecht auskennt. Denn auch wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit der aktuellen Regelungen auch Bedeutung haben wird, wird es für den Einzelfall erst einmal entscheidend sein, im Straf- und Bußgeldverfahren keine Fehler zu machen. Sonst wird sich nämlich auch das Bundesverfassungsgericht möglicherweise gar nicht mehr der Sache annehmen können.